„Wann ist man sich nahe?“
Eine Bekannte von mir scheut sich nicht, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen. Sie sagt von sich selbst, dass sie – wie es so schön heißt – nahe am Wasser gebaut sei. Sie meint wohl damit, dass ihr schnell die Tränen in die Augen steigen, wenn sie etwas berührt.
Dieses etwas könne alles Mögliche sein – zu jeder Tages- und Nachtzeit, sagt sie. Egal, ob es beim Hundespaziergang die Landschaft oder der Hund sei, beim Lesen oder Film schauen, im Kino oder Musical, im Gespräch, beim Kochen, Musik hören, beim Anblick einer Person, bei Meldungen zu Breaking News, bei Schilderungen von selbst oder von anderen erlebten Ereignissen, sie sei ganz einfach ge- und berührt. Ein Moment sei das, der sie innerlich aufwühle, ihr Gänsehaut beschere und sich in wässrige Augen verwandle.
Die Tränen seien dann schnell weggewischt und schon sei’s auch schon wieder vorbei, so, als wäre nichts gewesen.
Aber gerade dieses „nichts“ finde ich spannend. Ich bohre nach und frage sie:
„Warum soll „nichts“ gewesen sein? Ach, sie stehe dazu und glaube diese Rührseligkeit von ihrer Großmutter geerbt zu haben. Die Oma sei auch immer ganz schnell „am Heulen“ gewesen, hätte jedoch gleich die Nase hochgezogen und sich die Augen gewischt. Es abzutun, sei für sie das Normalste der Welt.
Was, wenn meine Bekannte dem nächsten rührenden Moment einmal so richtig Platz machen würde? Was würde dann passieren? Das frage ich sie.
Sie sieht mich an und zuckt mit den Schultern, überlegt, denkt nach. Wahrscheinlich würde sie
– nicht mehr aufhören zu heulen
-sich ganz innen drinnen spüren
-sich und andere besser verstehen
-sich verstanden fühlen
-sich lieben und die ganze Welt dazu
-mit sich im Reinen sein
Es nützt nichts Gefühle wegzuwischen, es nützt darüber zu reden. Ich freue mich weiterhin gemeinsam mit meiner Bekannten den Weg entlang des Wasser zu gehen und vielleicht dem einen oder anderen Wasserfall zu begegnen…
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